Eine satirisch angehauchte Weihnachtsgeschichte der besonderen Art -
vom Chocolate Hunter (Schokoladenjäger) erfunden:
Wie der Weihnachtsmann mit Schokolade die Welt vor Corona rettete
Autor: Sebastian Kobylak
Es ist ein sonniger, aber recht kühler Dezembertag. Bis Weihnachten sind es nur noch wenige Tage. Auch wenn 2 Grad Celsius in der Mittagszeit zum Winteranfang noch vor 20 Jahren von den meisten von uns als lächerlich warm wahrgenommen wären, so ist ein Wetter ohne Frost und Schnee in einem mitteleuropäischen Land wie Deutschland im Jahr 2020 inzwischen völlig normal. Der Klimawandel ist unerbittlich. An all die Wetterkatastrophen und das Menschenleid, vor allem in den ärmeren Ländern der Dritten Welt, will ich nicht einmal denken. Man könnte deswegen den ganzen Tag nur noch resignierend weinen. Das werde ich aber nicht. Man darf trotzdem die Hoffnung nicht verlieren. Ich denke, dass Optimismus eine lebenswichtige Arznei im Leben jedes Menschen ist.
Ich war gerade in der Innenstadt, um die letzten wichtigen Besorgungen vor den bald anstehenden Feiertagen zu machen. Auf dem Hauptplatz sowie auf der Haupteinkaufsstraße im Stadtkern war wie erwartet wenig los. Ich habe schon lange nicht mehr so wenige Menschen in meiner Stadt einkaufen gesehen. Zumindest noch nie am helllichten Tag am letzten Wochenende vor Heiligabend. Immerhin ist Weihnachten in vielen Ländern der Welt das wohl wichtigste Fest des Jahres. Aber wegen Corona ist jetzt Vieles anders. Der aktuelle Lockdown in unserer Region scheint tatsächlich zu wirken. Kein Wunder, wenn schon so viele Menschen durch das Coronavirus schwer krank geworden oder sogar gestorben sind. Soziale Kontakte und das öffentliche Leben auf ein Minimum zu reduzieren ist auf jeden Fall die richtige politische Maßnahme, wenngleich alternativlos. Das will ich auf keinen Fall bestreiten. Wenn es um Solidarität zum Schutz der Schwächsten in unserer Gesellschaft geht, bin ich voll dabei. Wenn nicht mit strengen Schließungen des Kultur- und Handelsbereichs und vor allem dem Unterbinden von größeren Menschenansammlungen, wie sonst wollen wir die älteren und die schwächeren Menschen schützen? Dass beispielsweise sogar in den kleinen und mittelgroßen Städten wie auch an meinem bescheidenen Wohnort keine Weihnachtsmärkte in diesem Jahr stattfinden, ist ein unübersehbares Zeichen, das uns aufzeigt, wie ernst die Lage in Deutschland ist. Der Nürnberger Christkindlesmarkt, einer der berühmtesten Weihnachtsmärkte der Welt, musste ja abgesagt werden. Es ging nicht anders. Zuletzt wurde der Christkindlesmarkt aus verständlichen Gründen während des Zweiten Weltkriegs nicht durchgeführt. Das ist schon eine Ewigkeit her. Damals aus Angst vor Luftangriffen und jetzt wegen eines gefährlichen Virus, das nicht nur die Deutschen, sondern nahezu die gesamte Menschheit in Schach hält. Mir kommt dieses Runterfahren ehrlicherweise sehr gelegen.
Ich selbst habe nichts gegen weniger Hektik. Der heutzutage gängige Lebensstil, in dem man von morgens bis abends alles nur abliefert, ohne dabei zu hinterfragen, ob es für einen selbst einen Sinn ergibt, kann doch nicht der Sinn des Lebens sein. Außerdem war ich nie ein Fan von engem Kontakt und Menschenberührungen. Das hat mit meinem Asperger-Charakter zu tun. Dabei kommt mir spontan folgender Gedanke in den Sinn: Würde man ausbeuterische und von Effizienz getriebene Grundprinzip auf den Schokoladenmarkt übertragen, wäre das so, als wenn wir die profitorientierte Produktionsphilosophie von solchen Riesenkonzernen wie Milka oder Lindt mit den der kleinen Schokoladenmanufakturen aus der ethisch und ökologisch stärker geprägten Bean-to-Bar Szene vergleichen würden. Das spiegelt sich natürlich im Preis klar wider. Eine 100 Gramm schwere Tafel von Lindt kostet etwa zwei Euro. Das ist auf die gleiche Menge bezogen mindestens drei bis fünf Mal weniger als bei einer Chocolaterie, wenn sie auf mehr Qualität, Transparenz und Ehrlichkeit setzt. Wie würde sich wohl der Weihnachtsmann zur internationalen Schokoladenindustrie äußern, wenn es ihn gäbe? Hätte er vielleicht eine schlaue Idee wie man Weihnachten trotz der Corona-Pandemie retten könnte? Leider habe ich hierzu keine Antwort, die alle Menschen zufriedenstellen würde, parat.
Während ich die historische Hauptstraße in der Altstadt durchlief, bemerkte ich plötzlich über einen klitzekleinen Augenblick eine überdimensional große und kräftig gebaute Gestalt an mir vorbeihuschen. Auch hatte ich den Eindruck, dass es etwas Rotes gewesen sein könnte. Aber mein Blick war gerade nach unten geneigt. Außerdem war ich derart in Gedanken versunken, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob es Einbildung, also doch nur eine stärkere Windbrise war. Immerhin war es an diesem Tag trotz viel Sonne relativ windig. Auch war ich recht müde, weil ich letzte Nacht schlecht geschlafen habe. Vielleicht war’s ja nur Tagträumerei? Oder kann es sein, dass es der Weihnachtsmann war? Das ist doch nicht möglich. Er existiert nicht, oder doch? Ich schaute mich in alle Richtungen um, ob ich irgendwo noch etwas Rotes erspähe. Da es auf der Fußgängerzone kaum Menschen gab, hatte ich zumindest kein versperrtes Blickfeld. Nach nur einer kurzen Zeit erblickte ich tatsächlich in der Ferne eine rote Figur, die hinter einer Seitentür der alten, seit Jahren verlassenen Stadtbrauerei verschwand. Ich konnte meine Neugier nicht mehr bändigen und beschloss das alte Brauereigebäude aus der Nähe zu inspizieren.
Am Gebäude angekommen merkte ich anhand der stark verrosteten Tür, dass hier schon lange nichts mehr los gewesen ist. Was geschieht aber jetzt? Würde ich in diesem Augenblick jemanden in der alten Brauerei antreffen? Ich drückte die Türklinke ohne Erwartungen nach unten. Doch die Tür ging kinderleicht auf. War das so gewollt oder nur Zufall? Im Inneren war es besonders laut. Es hörte sich zumindest so an, als ob die Geräusche von irgendwelchen Produktionsmaschinen kamen. Ich befand mich in einer Art langgezogenen Flur. Ich ging bis zum Ende des Gangs in Richtung einer weiteren Tür. Je näher ich an der Tür war, desto lauter wurde es. Auch die zweite Tür schien nicht verschlossen zu sein. Mein Herz begann schneller zu pochen und ich empfand ein Kribbeln im Gesicht. Ich bekam plötzlich ein Angstgefühl, weil ich nicht wusste, was mich gleich erwartet. Um mich zu beruhigen, atmete ich mehrmals langsam tief ein und aus. Schließlich drückte ich die Klinke nach unten und die Tür ging auf.
Ich betrat eine riesengroße Halle voller unterschiedlicher Produktionsmaschinen. Sie liefen auf Hochtouren und wurden von vielen kleinen Menschen mit großen, spitzen Ohren in grünen Anzügen und langen, roten Zipfelmützen bedient und beaufsichtigt. Weitere Figuren liefen in unterschiedliche Richtungen hin und her und transportierten viele große Pakete. Es duftete sehr intensiv nach Schokolade. Sind es tatsächlich Weihnachtselfen, die mitten in Deutschland Schokolade produzieren? Ich ging durch die Halle und beobachtete die zahlreichen, gleichzeitig laufenden Produktionsvorgänge. Wie ich vermutet habe, wurden hier tatsächlich Schokoladentafeln hergestellt. Ich erblickte unter anderem übergroße Backöfen, Melangeure und Conchiermaschinen. In den Öfen wurden gerade Kakaobohnen geröstet. Die Steinräder in den überdimensionalen Melangeur-Behältern drehten sich wie verrückt. Innen drin befand sich eine Riesenmenge an flüssiger Schokoladenmasse. Aus einer Temperiermaschine liefen bereits fertige Schokoladentafeln auf einem Fließband heraus, die von den Elfen per Hand in Windeseile verpackt wurden. Ich staunte wie flink die kleinen Leute bei ihrer Arbeit waren. Alles schien hier wie am Schnürchen zu laufen. Die kleinen, vielleicht nur einen Meter großen menschlich aussehenden Wesen waren so sehr beschäftigt, dass sie mich überhaupt nicht wahrgenommen haben.
Plötzlich verspürte ich auf meiner Schulter einen Stupser von hinten. Ich drehte mich um und fand vor mir den Weihnachtsmann höchstpersönlich. Ein rund zwei Meter großer Mann mittleren Alters mit einem langen, weißen Bart, kräftig gebaut, aber ohne Bierbauch, lächelte mich an. Seine Größe hat mich sofort überwältigt. Es fühlte sich etwa so an, als ob ein Basketballspieler in meiner Nähe stehen würde. Er hatte eine rote Leinenhose an, war in einem roten Mantel gekleidet und trug eine rot-weiße Zipfelmütze auf dem Kopf. Natürlich hatte er auch seine typisch schwarzen Stiefel an, wie man sie beispielsweise aus Filmen oder Erzählungen kennt. Alles in allem ein stereotypischer Santa Claus, komplett in rot und mit allem Drum und Dran. Lustigerweise gibt es unseren geliebten Helden in dieser Form erst seit 1931, dank Coca Cola. Trotzdem denken die meisten, dass unser Nikolaus schon immer so ausgesehen hat. „Hallo, junger Mann, hast du dich verlaufen? Oder warum bist du hier?“, fragte er mich. Seine Frage klang zwar erstaunlich liebenswürdig und sympathisch, aber gleichzeitig auch ironisch. Ich wusste nicht, was ich sagen soll und blieb für einen kurzen Moment still. „Du brauchst keine Angst zu haben. Du musst mich draußen wohl bemerkt haben und bist mir dann gefolgt. Du hättest mich eigentlich nicht sehen dürfen. Vermutlich hatte mein unsichtbar machender Ring kurzfristig eine Panne. In letzter Zeit funktioniert er nicht mehr fehlerfrei. Ich muss ihn wohl reparieren. Von der vielen Arbeit in der Fabrik habe ich draußen etwas Bewegung an der frischen Luft gebraucht. Aber Schwamm drüber, jetzt ist es bereits geschehen. Wie du ja bereits gesehen hast, wird in deiner Heimatstadt von meinen Elfenfreunden gerade ganz spezielle Weihnachtsschokolade hergestellt. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn du hier schon bist, erkläre ich dir gerne, warum wir quasi gezwungen waren an diesem Ort diese besondere Schokolade zu produzieren. Es ist eine Premiere. Die gab’s bisher noch nicht. Sie ist aber lebenswichtig. Ich bin guter Dinge, dass wir mit unserer Schokolade viele Menschenleben retten werden.“
Während der Weihnachtsmann seinen Kurzmonolog geführt hatte, gewöhnte ich mich langsam an die Tatsache, dass es ihn mit Leib und Seele gibt. „Mit der Schokolade Menschen retten? Hat es vielleicht etwas mit dem Coronavirus zu tun?“, fragte ich ihn verwundert und erschrocken zugleich.
Der Weihnachtsmann antwortete darauf: „Ja genau. Übrigens kannst du mich gerne duzen und deinen Mundschutz darfst du auch mit gutem Gewissen abnehmen. Keine Sorge. Es wird nichts Schlimmes passieren. In diesem Gebäude wird sich niemand mit Corona anstecken. Dank der magischen Kräfte meiner Kameraden, also der Elfen, haben wir hier eine Art Corona-Pufferzone eingerichtet. Das bedeutet, dass das Virus hier keine einzige Sekunde überleben kann. Solltest du z. B. selbst gerade Coronaviren in deinem Körper haben, würden sie von jetzt auf gleich verschwinden. Und nun zur Schokolade. Dank der besonderen Fähigkeiten meiner Elfenfreunde habe ich die Möglichkeit maximal 30 Jahre in die Zukunft zu blicken. Insofern wusste ich schon im Jahr 1989, dass die Corona-Pandemie im Dezember 2019 eintreten wird. Eine Gabe zur Vorbeugung solcher Katastrophen habe ich leider nicht. Andernfalls gäbe es die Schokolade schon früher oder zumindest im letzten Jahr. Ich darf den Zauber der Elfen erst dann zum Zwecke der Lebensrettung nutzen, wenn die Katastrophe bereits am Laufen ist. Das ist auch alles in meinem Vertrag zwischen den Elfen, Gott und mir punktgenau geregelt. Gott will es nun eben so gehandhabt haben, dass die Menschen erstmal ausreichend lange leiden, bevor ich einspringen darf, um anschließend Unterstützung zu leisten. Warum es den Menschen nicht immer nur gut gehen kann und warum sie selbst ihre Fehler erkennen müssen, das brauche ich dir wohl nicht genauer zu erklären. Ich bin mir sicher, du weißt, was ich damit meine und wie die Welt funktioniert.“
Daraufhin unterbrach ich den Weihnachtsmann und hakte mit folgender Frage nach: „Warum hast du dann z. B. nichts gegen den Zweiten Weltkrieg unternommen? Haben denn nicht viel zu viele Menschen leiden und sterben müssen? Mehrere Millionen unschuldiger Juden wurden von den Nazis ermordet.“
„Du hast natürlich recht. Der Zweite Weltkrieg gehörte ohne Zweifel zu den schlimmsten Menschheitskatastrophen. Aber glaube mir, auch hier habe ich interveniert. Andernfalls würde der Krieg zweimal länger dauern und es gäbe dreimal so viele Opfer. Ohne meine strategisch-diplomatische Beratungsfunktion in den USA, Großbritannien und der Sowjetunion würde es deutlich später zum Zusammenschluss der Alliierten und zum aktiven Eingreifen ins Kriegsgeschehen kommen. Übrigens wollte Gott, dass die Menschen bei diesem Krieg besonders stark leiden. Er wollte, dass sie eine derart prägende Lehre daraus ziehen, damit sich ein solches Ereignis vergleichbaren Ausmaßes nicht mehr wiederholt. Wie du ja weißt, wurden die Menschen danach durchaus humaner. Die Vereinten Nationen wurden gegründet, es wurde eine allgemeine Menschenrechtserklärung eingeführt usw.
Was ich dir jetzt noch alles zur Intention der Schokoladenherstellung und über die Zukunft der Menschen sagen werde, wirst du sowieso vergessen, sobald du das Gebäude verlässt. In den nächsten 30 Jahren müsst ihr euch auf weitere fünf Pandemien gefasst machen. Einige davon werden leider auch gefährlicher sein als die jetzige. Ich selbst, wie ich dir bereits anzudeuten versucht habe, kann und darf eure menschengemachten Katastrophen nicht verhindern. Aber ihr Menschen habt es in der Hand, ob ihr neue Unglücksszenarien geschehen lässt oder eben nicht. Ihr könntet noch viel unnötiges Menschenleid und die schlimmsten Naturkatastrophen verhindern. Nur gute Absichten und leere Versprechungen reichen da nicht aus, die wir oft von Politikern aus den reichsten Ländern der Welt immer wieder zu hören bekommen. Ihr müsst schon alle konsequent sein, eure derzeitigen Lebensweisen vorurteilsfrei hinterfragen und ehrlicherweise so anpassen, dass es allen Lebewesen und Pflanzen auf eurem Planeten gut geht. Und wenn ich mir eure Wirtschaftsweise anschaue, gleicht es doch nahezu einer Selbstkasteiung, oder nicht? Was habt ihr davon, wenn sich die wirtschaftlich mächtigsten Länder der Welt in einem dauerhaften Wettstreit befinden, wer Konsumweltmeister wird? Ist dieser Titel wirklich so erstrebenswert? Habt ihr denn nichts Besseres in eurem ohnehin so kurzen Leben zu tun? Auch ich als Weihnachtsmann möchte euch deswegen nicht verurteilen. Ich weiß, dass ihr Menschen typische Gewohnheitstiere seid und mit welch immensen Kraftakt revolutionäre Veränderungen verbunden sind. Ihr müsst euch jedenfalls darüber im Klaren sein, dass ihr auf Dauer so nicht weitermachen könnt. Ich denke, dass mit eindeutig mehr Gemeinwohl schon Vieles besser und fairer auf der Erde wäre. Jedenfalls müsstet ihr andere Wirtschaftsphilosophien entwickeln, bei der Geld keine Rolle spielen dürfte, wenn humane und nachhaltige Aktivitäten zur Normalität werden sollen. Ich denke, ich habe genug hierzu philosophiert.
Und jetzt endlich zurück zum eigentlichen Thema – und zwar zur Schokolade, die wir hier gerade produzieren. Sie ist insofern besonders, weil sie wie eine Impfung ein Leben lang vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützt. Sie funktioniert sogar deutlich besser und universeller. Denn sie ist komplett nebenwirkungsfrei und garantiert zu 100 Prozent effektiv. Gleichzeitig hat sie auch Eigenschaften wie ein hochwirksames Medikament. Das heißt, dass bei bereits infizierten Menschen alle Coronaviren auf der Stelle komplett beseitigt werden und später keine gesundheitlichen Folgeschäden entstehen. Eine einmalige Portion von fünf Gramm Schokolade reicht aus, um für immer vor Corona geschützt zu sein. Und falls Corona bereits da ist, wird es vom Körper vollständig beseitigt, als ob nie etwas wäre. Für die nächsten Pandemien, falls ihr sie mit eurem Handeln nicht selbst verhindern solltet, könnte ich natürlich auch solche Schokoladen entwickeln. Gott muss aber grünes Licht geben. Ihr müsst euch jedoch auf einen noch längeren Leidensdruck in den nächsten Jahrzehnten gefasst machen. Gott kennt leider kein Erbarmen. Ich habe in der Vergangenheit schon oft versucht, mit ihm Kompromisse zu schließen, damit zumindest die Schwächsten und Ärmsten der Welt nicht immer am stärksten leiden. Aber das ist schwierig. Er ist halt ein sturer Typ, in den meisten Fällen zurecht.“
„Was für Kakaobohnen wurden für die Schokoladen verwendet?“, wollte ich vom Weihnachtsmann wissen.
„Eine sehr gute Frage. Wie du dir wahrscheinlich denken kannst, sind es keine gewöhnlichen Kakaobohnen, die für die Schokolade eingesetzt werden. Denn die magische Heilkraft liegt im Kakao. Schon vor 30 Jahren, als mir bekannt wurde, wann genau die Pandemie eintreten wird, habe ich ein interdisziplinär umfangreiches Kakao-Projekt in die Wege geleitet und dabei viele Wissenschaftler, vor allem aus den Bereichen Biologie, Botanik, Agronomie und Genetik, mit ins Boot geholt. Natürlich haben wir anschließend, wenn es um den Kakaoanbau ging, auch mit einer großen Zahl an Kakaobauern eng zusammengearbeitet. Diese Unternehmung ist bis heute streng geheim, nicht einmal Länderregierungen wissen darüber Bescheid. Das muss auch so sein, ist natürlich mit Gott bis ins kleinste Detail vertraglich geregelt. Mithilfe der magischen Fähigkeiten der Elfen konnten wir problemlos verhindern, dass sich versehentlich ein Forscher oder ein Bauer ausplaudert. Jetzt willst du bestimmt wissen, was an dem Kakao so besonders ist. Zusammen mit einem Forscherteam haben wir eine Kakaosorte gezüchtet, die Polyphenole und Antioxidantien besitzt, welche gezielt und super effektiv Covid-19 Viren eliminieren können. Die Elfen haben mit ihren magischen Kräften schnell herausgefunden, welche chemischen Eigenschaften die Polyphenole haben müssen. Eine weitere entscheidende Herausforderung hing mit der Stabilität der Kakaopolyphenole zusammen. Wir mussten sie nämlich so konzipieren, dass sie auch nach allen Verarbeitungsschritten wie der Trocknung, Fermentation und der Röstung in ihrer Wirkweise in keinster Weise abgeschwächt werden. Glücklicherweise hat auch das geklappt.
Als dann alle notwendigen Parameter verfügbar waren, begannen die Forscher mit dem biologischen Züchten. Nach wenigen Jahren war die perfekte Anticorona-Kakaopflanze bereit für die Kultivierung. Schon Mitte der neunziger Jahre fingen wir mit dem Anbau vieler solcher Kakaobäume an. Als der perfekt Ort zum Anbau unserer Bäume stellte sich die Region Cusco in Peru heraus. Dadurch, dass es sich dort um die botanische Geburtsstätte des Kakaos handelt, haben sich unsere neuen Kakaobäume in diesem Umfeld von Beginn an sehr wohl gefühlt. Das hängt auch damit zusammen, dass unsere Kakao-Kreuzung zu einem großen Teil aus dem Chuncho-Kakao besteht. Der Chuncho ist nämlich eine dort natürlich vorkommende Kakaosorte, die seit Tausenden von Jahren an dieser Stelle wächst. Mehrere tausend peruanische Bauern haben mitgemacht. Der Anbau erfolgte selbstverständlich so nachhaltig wie möglich und die Bauern wurden sehr gut entlohnt. Gott hat dafür gesorgt, dass in dieser Unternehmung alles ökologisch und ethisch abläuft. All die Kakaobohnen, die in den letzten 20 Jahren geerntet, fermentiert und getrocknet wurden, haben wir dann in den Lagerräumen an meinem Wohnort am Nordpol sicher bis 2019 aufbewahrt. Die älteren Kakaobohnen sind nicht verdorben, weil die Elfen mit ihren Zauberkräften nachgeholfen haben. So konnten wir also seit dem Jahr 2000 bis heute mit den vielen Ernten ausreichend viele Kakaobohnen anhäufen, damit jetzt jeder Mensch auf der Erde mit mindestens einer Anticorona-Schokoladentafel versorgt werden kann. Es werden tatsächlich fast acht Milliarden Tafeln sein.
Die Schokolade ist eine klassische Dunkelschokolade mit 70 Prozent Kakaoanteil, die wir mit Rohrzucker von brasilianischen Bio-Bauern gesüßt haben. Eine Vollmilchschokolade war nicht möglich, weil die Milchproteine die Wirkung der Anticorona-Polyphenole neutralisieren. Dieser Mechanismus ist besonders hartnäckig. Nicht einmal die Elfen konnten das Milchproblem lösen. Deshalb blieb uns nichts Anderes übrig, als eine milchfreie Schokolade zu machen. Pflanzliche Milchalternativen haben wir aus strategischen und praktischen Gründen nicht in Erwägung gezogen. Den Kakao haben wir deswegen bewusst so gezüchtet, dass er trotz seiner stark wirkenden Anticorona-Polyphenole keinen bitteren Geschmack hat. Das haben wir perfekt hinbekommen. Die fehlende Bitterkeit war unbedingt notwendig, damit die Schokolade auch Kindern und Leuten, die keine Bitterschokolade mögen, schmeckt. Mit einer milden Schokolade erhöhen wir die Chance, dass alle Menschen gegen Corona immunisiert werden können.“
Der Weihnachtsmann legte eine kurze Pause ein. Nach seiner längeren Redezeit ohne Unterbrechung musste er Luft holen. Außerdem nahm er einen Schluck Wasser zu sich. Ich nutzte den Augenblick, um ihm eine Frage zu stellen, die mich vor allem als kleines Kind beschäftigt hat, als ich an den Weihnachtsmann noch geglaubt habe: „Wie schaffst du es jedes Jahr, innerhalb einer einzigen Nacht, alle Geschenke auf der ganzen Welt zu verteilen? Bei den Geschenken ist es ja so, dass nur die artigen Kinder etwas von dir bekommen. Also wird auch nicht jeder von dir beschenkt, oder? Die Auslieferung der Schokoladen wird für dich bestimmt eine größere Herausforderung sein. In diesem Fall muss ja jeder Mensch eine Tafel Schokolade erhalten.“
Der rot gekleidete Mann redete mit voller Eifer los: „Ja genau, es sind immer nur die artigen Kinder gewesen, die ich beschenkt habe. Das sind durchschnittlich immer etwas über eine Milliarde in den letzten Jahren gewesen. Hierfür habe ich eine spezielle Liste, die von den Elfen verwaltet wird. Auch die von uns entwickelten Kriterien, die darüber entscheiden, ob ein Kind oder ein Jugendlicher als artig oder unartig eingestuft wird, werden von meinen kleinen Helfern genauestens überprüft. Meine liebevolle Frau, Margarete, packt ebenso bei vielen Weihnachtsaufgaben mit an. Aber auch wir haben mittlerweile den Prozess vollständig digitalisiert, um den riesigen Verwaltungsakt den Elfen zu erleichtern und Zeit zu sparen. Ihre magischen Kräfte sind nicht beliebig abrufbar und auch nicht für alle Tätigkeiten geeignet. Sie können zwar viele nützliche Wunder vollbringen, aber auch nicht alles tun. Beispielsweise sind sie nicht im Stande, einen bereits verstorbenen Menschen wiederzubeleben.
Die Auslieferung der Geschenke an Heiligabend ist tatsächlich immer das geringste Problem für mich gewesen. Selbstverständlich gab es mal immer wieder unvorhergesehene Eskapaden, aber das ist normal in meinem Weihnachtsgeschäft. Durch euren immer stärker ansteigenden Konsumwahn habe ich sowieso von Jahr zu Jahr weniger zu tun. Denn die Eltern kaufen inzwischen Vieles selbst. In meinen Augen oft viel zu viel unnötigen Kram. Deshalb beschränke ich mich schon seit mindestens Anfang der 90er Jahre auf nur ganz spezielle Geschenke und Sonderwünsche. Nachhaltig, praktisch und sinnvoll sollen die Gegenstände vor allem sein. Natürlich sind sie an die Bedürfnisse und Talente der Kinder individuell angepasst. Denn Freude sollen sie ja trotzdem bereiten. Es sind also heutzutage deutlich weniger Kinder, die ich direkt beschenke. Das sind vor allem ärmere Kinder aus der Dritten Welt, darunter befinden sich auch viele Kakaobauernfamilien Westafrikas, oder Waisenkinder, aber auch Kinder aus sozial schwächeren Familien in Europa oder Amerika. Und auf meine treuen und mutigen Rentiere kann ich mich sowieso immer verlassen. In Zeitnot gerate ich nie. Um alle Geschenke auszuhändigen, lasse ich die Zeit währenddessen einfach stehen bleiben. Das ist eine der wenigen magischen Fähigkeiten, die ich selbst besitze, aber nicht die Elfen. Das hat Gott entsprechend vertraglich geregelt. Deshalb hat er mich mit dieser Begabung ausgestattet. Und damit alle Geschenke in meinen Schlitten passen, verkleinere ich sie tausendfach. Das kann ich auch. Wie du also siehst, werde ich nach dem gleichen Schema mit den Anticorona-Schokoladen vorgehen. Heiligabend ist ehrlicherweise mein Lieblingstag. Es ist immer wieder ein unvergessliches Erlebnis für mich, wenn ich im Schlitten zusammen mit meinen Weggefährten durch die Lüfte fliege, mit Lichtgeschwindigkeit wohlgemerkt.“
„Das klingt alles sehr schlüssig und moralisch vorbildlich. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass deine Weihnachtsstrategie so bis ins kleinste Detail durchgedacht ist. Eine letzte Sache gibt es aber noch, die ich von dir unbedingt wissen würde, wenn du noch ein bisschen Zeit für mich hast. Ich möchte dich nämlich ungerne von deiner lebenswichtigen Schokoladenmission abhalten. Warum produzierst du die Anticorona-Schokolade gerade hier?
„Tatsächlich waren wir aufgrund eines islamistischen Terroranschlags an unserem Hauptproduktionsort am Nordpol gezwungen hier die Schokolade herzustellen. Eine Truppe von IS-Terroristen sprengte das Gebäude, wo wir die Schokoladen fertigen wollten, in die Luft. Wir hatten wirklich viel Glück, dass niemand verletzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren die Elfen, meine Ehefrau und ich ausreichend weit vom Bombeneinschlag entfernt – auf einem gemeinsamen Ausflug, um Lebensenergie vor unserer wichtigen Aufgabe zu tanken. Da unser Ort geheim gehalten wird, frage ich mich, wie uns die Verbrecher gefunden haben. Das haben wir wegen Zeitnot noch nicht klären können. Das Ereignis fand erst vor wenigen Stunden statt. Die CIA, der Auslandsgeheimdienst der USA, unterstützt uns dabei. Die Kriminellen sind gefasst und werden von den Amerikanern gerade verhört. Die Schäden durch den Bombenanschlag sind riesengroß. Gleichzeitig sind die magischen Fähigkeiten der Elfen nur beschränkt. Ein Wiederaufbau der gesamten Anlage am Nordpol hätte sie zu viel Energie gekostet. Die brauchen wir aber jetzt vor allem für die Schokoladenherstellung. Deswegen mussten wir schnell eine alternative Lösung finden. Es stellte sich heraus, dass neben dem Nordpol nur noch deine Stadt neben wenigen weiteren Orten weltweit alle Bedingungen erfüllt, die wir unbedingt zur Schokoladenherstellung benötigen. Das hat mit besonderen energetischen Schwingungen zu tun. Die Elfen brauchen sie, um voll leistungsfähig zu sein und nicht krank zu werden. Auf Dauer würden sie an einem solchen Ort sterben. Schokolade zu machen ist so nicht möglich. Neben deiner Heimatstadt fanden wir die gleichen Elfenkonformen Lebensbedingungen in einzelnen Städten in Nordkorea, Russland, Polen und Saudi-Arabien. Wir haben uns für deine Stadt entschieden, weil Deutschland im Vergleich zu den anderen Ländern zurzeit am menschenfreundlichsten und am moralischsten agiert. Dieses Kriterium war auch entscheidend – nicht nur für mich, auch für die Elfen und Gott. Glücklicherweise haben wir diese verlassene Brauerei schnell ausfindig gemacht. Der Transport aller notwendigen Maschinen zur Schokoladenherstellung war für die Elfen ein Kinderspiel. Wir haben sie von mehreren norditalienischen Schokoladenmaschinen-Produzenten geliehen und hierher gezaubert. Die Italiener wissen von nichts. Anstelle der fehlenden Geräte befinden sich in ihren Lagerräumen gleichaussehende Projektionen, die die Elfen geschaffen haben. Die Maschinen werden wir sowieso in wenigen Stunden wieder zurückbringen. Das werden sie nicht einmal merken. Drei Viertel aller Schokoladen haben wir bereits fertigproduziert und verpackt. Ich bin mir sicher, dass alles gut klappen wird. Trotz des Bombenvorfalls liegen wir noch im Zeitplan.“
„Und wenn ich schon hier bin, könnte ich nicht gleich eine Schokoladentafel bei Gelegenheit mitnehmen? Ich weiß, dass es bei dir zeitlich ohnehin keine Rolle spielt, wenn du mein Haus an Heiligabend nicht ansteuern müsstest. Würdest du dich trotzdem überreden lassen?“, fragte ich den Weihnachtsmann.
„Ja klar, das können wir machen. Ich habe nichts dagegen. Ich freue mich, dich als meinen neuen Freund kennengelernt zu haben.“, erwiderte er und reichte mir eine Schokoladentafel. Ich schaute das magische Erzeugnis neugierig von allen Seiten an. Die Papierverpackung war relativ schlicht gehalten. Sie war gänzlich rot und besaß keinerlei Verzierungen oder dergleichen. Auf der Vorderseite stand in weißer, dynamisch geschwungener Schreibschrift „Magische Schokolade vom Weihnachtsmann“. Auf der Rückseite waren nur die Zutaten aufgelistet – ebenso in weiß und in der gleichen Schreibform: Kakaobohnen, Rohrzucker. Wirklich vorbildlich, nur zwei Zutaten, dachte ich mir spontan. „Darf ich schon jetzt ein kleines Stück probieren?“, vergewisserte ich mich beim Weihnachtsmann. „Natürlich. Ich bin gespannt, ob sie dir schmecken wird.“, lautete seine Antwort.
Ich öffnete die Verpackung, brach ein Schokoladenstück ab und legte es in meinen Mund. Plötzlich wurde es stockdunkel und ich geriet in einen starken Luftwirbel, der mich weit nach oben schleuderte. Ich sah nichts, ich hörte nichts. Es fühlte sich an, als ob ich mit geschlossenen Augen und gehörlos Achterbahn fahren würde. Als ich gerade aus Verzweiflung einen Hilferuf von mir geben wollte, wachte ich Zuhause in meinem Bett auf. War das alles nur ein Traum? Ich warf einen Blick auf den Kalender, um mich zu erkundigen, welchen Tag wir haben: 25. Dezember, 1. Weihnachtstag. Danach blickte ich zu meinem Schreibtisch. Eine rot verpackte Schokoladentafel befand sich dort. Sie war ungeöffnet.
Anmerkung vom Autor: Bei dieser Geschichte handelt es sich um 100% reine Fiktion, die ich selbst erfunden habe. Auch wenn dort konkrete Namen von diversen Persönlichkeiten, Organisationen oder Firmen genannt oder anderweitige politisch und gesellschaftlich relevante Themen aufgezeigt werden, ist es in keinster Weise per se negativ gemeint, sondern als Satire (literarisches Werk) gedacht.